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Ex-EZB-Chef Draghi ruft EU zu Gemeinschaftsschulden für Investitionen auf
Der frühere italienische Regierungschef und Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, hat die EU zu massiven Investitionen in Wirtschaft, Verteidigung und Klimaschutz aufgerufen. Nötig seien "zusätzlich jährliche Mindestinvestitionen von 750 bis 800 Milliarden Euro", schreibt er in einem Strategiepapier, das er am Montag in Brüssel vorstellte. Draghi fordert dafür neue Gemeinschaftsschulden. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) erteilte dem umgehend eine Absage.
Draghi übergab seinen Bericht zur europäischen Wettbewerbsfähigkeit an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die ihn vor rund einem Jahr in Auftrag gegeben hatte. Angesichts der Konkurrenz aus den USA und China warnt Draghi die Europäer vor einer "existenziellen Herausforderung". Ohne höhere Produktivität könne Europa nicht "führend bei neuen Technologien, Leuchtturm der Klimaverantwortung und unabhängiger Akteur auf der Weltbühne" sein. Auch das europäische Sozialmodell sei dann nicht mehr finanzierbar, schrieb der Italiener.
Der Italiener beziffert die nötigen Zusatz-Investitionen in die europäische Wirtschaft darin auf 4,4 bis 4,7 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 2023 - mehr als das Doppelte der Hilfen aus dem Marshall-Plan nach dem Zweiten Weltkrieg. In seinem Plädoyer für eine "neue Industriestrategie" empfiehlt der Italiener deshalb die Ausgabe neuer "gemeinsamer Schuldtitel (...) zur Finanzierung gemeinsamer Investitionsprojekte, die die Wettbewerbsfähigkeit und Sicherheit der EU erhöhen".
Lindner wies dies zurück. Einer "Vergemeinschaftung von Risiken und Haftung" werde Deutschland "nicht zustimmen", betonte der FDP-Politiker. Problematisch in der EU sei nicht der "Mangel an Subventionen, sondern die Fesselung durch Bürokratie und Planwirtschaft", erklärte er.
In der Corona-Pandemie hatte die EU ein kreditfinanziertes Hilfspaket von 750 Milliarden Euro geschnürt. Länder wie Italien und Frankreich fordern seitdem ein neues Paket und berufen sich auf die gestiegenen Ausgaben für Verteidigung und Klimaschutz. Neben Deutschland lehnen auch die Niederlande dies ab.
In seinem Bericht fordert Draghi angesichts der Konkurrenz aus China und den USA einen Aktionsplan für die europäische Automobilindustrie, mehr Anreize zur Digitalisierung, eine echte "Energieunion" und eine stärkere Zusammenarbeit bei der Rüstungsproduktion.
Deutsche Industrievertreter begrüßten den Draghi-Bericht. Er bringe die Probleme "auf den Punkt", erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit müsse "höchste Priorität" haben. Die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) sprach von "wichtigen Impulsen". Der Wirtschaft sei besonders dann geholfen, wenn Hürden wie "hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie und eine schleppende digitale Transformation" abgebaut würden, erklärte DIHK-Präsident Peter Adrian.
Mit Blick auf Sektoren mit hohem Treibhausgasausstoß wie Schwerindustrie und Verkehr rief Draghi die EU auf, ihre Klimapolitik besser zu justieren. "Wenn wir uns nicht abstimmen, besteht die Gefahr, dass die Dekarbonisierung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Wachstum zuwiderläuft", sagte Draghi vor Journalisten.
Von der Leyen will die EU mit ihrem Programm Green Deal bis zum Jahr 2050 klimaneutral machen. Vor den Europawahlen im Juni hatte die CDU-Politikerin unter Druck aus dem konservativen und liberalen Lager allerdings Abstriche an Umweltauflagen angekündigt.
Deutsche Europaabgeordnete riefen dazu auf, den Bericht nun nicht in der Schublade verschwinden zu lassen. "Draghis Mut darf nicht von nationalen Bedenkenträgern ausgebremst werden", forderte der Grünen-Politiker Rasmus Andresen. "Es darf nicht allein bei Berichten bleiben, am Ende zählt die Umsetzung", betonte auch der CSU-Abgeordnete Markus Ferber.
P.Queiroz--PC