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Brüssel spricht sich für EU-Beitrittskandidatenstatus für die Ukraine aus
Die von der Ukraine erhoffte EU-Beitrittsperspektive ist einen entscheidenden Schritt näher gerückt: Die Europäische Kommission empfahl den Mitgliedsländern am Freitag, dem Land offiziell den Kandidatenstatus zu verleihen. In Deutschland stieß der Vorschlag auf breite Unterstützung, Moskau reagierte kühl. Derweil reiste der Premierminister des Ex-EU-Mitglieds Großbritannien, Boris Johnson, überraschend erneut nach Kiew und sicherte der Ukraine weitere Unterstützung zu.
"Ja, die Ukraine verdient den Kandidatenstatus", sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die demonstrativ mit gelbem Blazer und blauer Bluse vor die Kameras trat, den Nationalfarben der Ukraine. Das Land sei bereit, für den "europäischen Traum" zu sterben, betonte sie mit Blick auf den russischen Angriffskrieg. Auch das Nachbarland Moldau soll demnach EU-Beitrittskandidat werden.
Von der Leyen knüpfte die Beitrittsperspektive an Bedingungen: Beide Länder müssten "weitere Reformen umsetzen, bevor sie vorankommen können". Eine feste Frist dafür setzte sie nicht.
Für Georgien empfahl von der Leyen vorerst nur eine "europäische Perspektive" ohne offiziellen Kandidatenstatus. Sie sprach von einem "dynamischen Prozess, der sich vorwärts bewegen, stagnieren oder Rückschritte machen kann". Dies hänge allein von den potenziellen Beitrittsanwärtern ab. Die Kommission werde finanzielle und technische Hilfestellung leisten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach auf Twitter von einer "historischen Entscheidung". Er hoffe nun auf ein "positives Ergebnis" bei den Beratungen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel in der kommenden Woche. Die Stellungnahme der Kommission ist Grundlage für einen entsprechenden Beschluss, den die 27 EU-Staaten einstimmig treffen müssen.
Kritik gibt es an der grassierenden Korruption in der Ukraine, der mangelnden Rechtsstaatlichkeit und unzureichenden demokratischen Strukturen. Der Europäische Rechnungshof hatte der Ukraine erst im September Versagen im Kampf gegen die "Großkorruption" attestiert und Seilschaften "zwischen Oligarchen, hochrangigen Beamten, Politikern, der Justiz und staatseigenen Unternehmen" beklagt.
Mit Bundeskanzler Olaf Scholz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Regierungschef Mario Draghi hatten sich bei ihrem Besuch in Kiew am Donnerstag bereits die Staats- und Regierungschefs der drei wichtigsten EU-Staaten für den Schritt stark gemacht. In Deutschland begrüßten Vertreter der Ampel-Parteien sowie der Union die Empfehlung der Kommission ausdrücklich.
"Die Ukraine verteidigt auch die Werte Europas. Schon deshalb darf die EU ihr nicht die Tür vor der Nase zuschlagen", schrieb Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf Twitter. Sie mahnte gleichzeitig Fortschritte beim EU-Beitrittsprozess für die Westbalkan-Staaten an, die teils schon viele Jahre Kandidatenstatus haben. Auch dort "müssen wir endlich nächste Schritte gehen (...) sonst geht Russland sie nämlich". Ähnlich äußerte sich Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer.
Der Kandidatenstatus ist ein erster Schritt im EU-Beitrittsverfahren. Wichtiger ist die Eröffnung konkreter Beitrittsverhandlungen. "Das steht jetzt noch nicht an", betonte EU-Erweiterungskommissar Oliver Varhelyi.
Die russische Regierung warf der EU vor, Kiew falsche Versprechungen zu machen. In der EU werde die Ukraine "keine strahlende Zukunft" haben, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa in Moskau. Brüssels Zusicherungen an die Ukraine seien eine "verlogene Botschaft, die in der Praxis nichts Gutes bringt". Präsident Wladimir Putin zeigte sich unbeeindruckt: Ein EU-Beitritt der Ukraine sei "ihre Sache", er habe "nichts dagegen".
Der britische Premier Johnson, der sein Land aus der EU geführt hatte, reiste derweil am Freitag überraschend erneut nach Kiew. Nach Angaben der britischen Regierung bat er Selenskyj ein "großes Ausbildungsprogramm für die ukrainischen Streitkräfte" an, das die Wende im Krieg gegen Russland bringen könne. Britische Kräfte könnten demnach "alle 120 Tage bis zu 10.000 (ukrainische) Soldaten ausbilden".
Britische Militärausbilder hatten ukrainische Soldaten bereits vor Beginn des russischen Angriffskrieges in der Verwendung moderner Waffen unterrichtet. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar gehört Großbritannien zu den finanzstärksten Unterstützern Kiews. Johnson war bereits im April als erster führender Vertreter eines G7-Staats in die Ukraine gereist.
T.Vitorino--PC