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207 Angeklagte in Mammut-Prozess gegen 'Ndrangheta in Italien verurteilt
Im größten Mafia-Prozess in Italien seit über drei Jahrzehnten hat das Gericht 207 Angeklagte schuldig gesprochen. Unter den Verurteilten, deren Namen die Vorsitzende Richterin Brigida Cavasino am Montag mehr als anderthalb Stunden lang verlas, sind neben Mitgliedern der 'Ndrangheta auch Helfershelfer der kalabrischen Mafia in Polizei, Politik und Verwaltung. Das Gericht verhängte Haftstrafen von einigen Monaten bis zu 30 Jahren.
In dem sogenannten Maxi-Prozess in einer zum Hochsicherheits-Gerichtssaal umgebauten Lagerhalle in der Stadt Lamezia Terme in der süditalienischen Region Kalabrien ging es seit Januar 2021 um die Machenschaften der 'Ndrangheta. Im Zentrum standen der mächtige Mancuso-Clan aus der Provinz Vibo Valentia sowie seine Helfer und Helfershelfer.
Die Staatsanwaltschaft hatte für 322 der insgesamt 338 Angeklagten zusammengenommen fast 5000 Jahre Haft gefordert. Die Anklagepunkte reichten von Drogenhandel und Bildung einer mafiösen Vereinigung über Geldwäsche bis hin zu Erpressung und Mordversuch. Gegen ein Dutzend Mafia-Bosse hatte die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe von 30 Jahren gefordert.
207 Angeklagte wurden von den drei Richterinnen nun schuldig gesprochen und verurteilt, 131 weitere wurden freigesprochen. Nur vier Mafiosi wurden zu der geforderten Höchststrafe verurteilt. Einer der bekanntesten Angeklagten, der 70-jährige Ex-Parlamentarier Giancarlo Pittelli, wurde zu elf Jahren Haft verurteilt - für ihn hatte die Staatsanwaltschaft 17 Jahre gefordert.
Hunderte Anwältinnen und Anwälte sowie einige Dutzend Angehörige saßen bei der Urteilsverkündung in dem riesigen Gerichtssaal. Die Angeklagten, die in Gefängnissen in ganz Italien sitzen, waren auf zahlreichen Bildschirmen zugeschaltet.
Die 'Ndrangheta hat ihre Wurzeln in Kalabrien, ist mittlerweile aber in etwa 40 Staaten aktiv, darunter auch in Deutschland. Dank ihres Quasi-Monopols im europäischen Kokain-Handel ist sie Italiens reichste und mächtigste Mafiaorganisation und hat auch den Staatsapparat unterwandert.
Die meisten der Angeklagten, die in Lamezia Terme vor Gericht standen, waren im Dezember 2019 bei koordinierten nächtlichen Razzien in Italien, Deutschland, der Schweiz und Bulgarien festgenommen worden. Dem 69 Jahre alten Clanchef Luigi Mancuso, genannt "Der Onkel", wird gesondert der Prozess gemacht. Vor Gericht standen erstmals auch viele Nicht-Mitglieder des Clans, darunter ein hochrangiger Polizist sowie Bürgermeister, Beamte und Unternehmer.
Das Mammutverfahren in Lamezia Terme und die tausende Stunden langen Zeugenbefragungen waren möglich, weil Dutzende 'Ndrangheta-Mitglieder ihre Schweigegelübde, die sogenannte Omerta, brachen, darunter ein Neffe von Luigi Mancuso. Die Kronzeugen berichteten vor Gericht von Waffenverstecken auf Friedhöfen und Drogenschmuggel mit Krankenwagen und schilderten, wie die 'Ndrangheta die kommunale Wasserversorgung für ihre Marihuana-Plantagen nutzt.
Die Zeugen schilderten auch, wie die 'Ndrangheta Menschen einschüchtert: Vor den Haustüren ihrer Gegner wurden tote Hundewelpen, Delfinkadaver oder Ziegenköpfe abgelegt, Autos wurden in Brand gesteckt und Geschäfte verwüstet. Die Mafiosi schreckten demnach auch nicht davor zurück, ihre Gegner krankenhausreif zu prügeln - oder spurlos verschwinden zu lassen.
Der erste Maxi-Prozess gegen die Mafia im Jahr 1986 hatte sich gegen die sizilianische Cosa Nostra gerichtet. In deren Schatten hatte die 'Ndrangheta jahrzehntelang relativ ungestört ihre illegalen Geschäfte ausweiten können. Heute machen die rund 150 'Ndrangheta-Clans nach Experten-Schätzungen einen Jahresumsatz von weltweit etwa 50 Milliarden Euro.
In den vergangenen Jahren haben die italienischen Behörden die 'Ndrangheta jedoch erfolgreicher bekämpft als in den Jahrzehnten zuvor, auch dank der Zusammenarbeit mit der internationalen Polizeiorganisation Interpol. Polizisten in aller Welt wurden darin geschult, die Aktivitäten der kalabrischen Mafia besser zu entlarven und zu bekämpfen.
Der Kampf gegen die 'Ndrangheta ist allerdings sehr gefährlich. Der an dem Prozess in Lamezia Terme beteiligte Staatsanwalt Nicola Gratteri steht seit mehr als 30 Jahren unter Polizeischutz.
S.Pimentel--PC